Der Tag beginnt in Dunkelheit und Kälte, ich halte mit heißem Kaffee und Tee und Nutellabrot dagegen. Ein Kind geht zur Schule, das andere ist krank und darf ausschlafen. Wir hören Radio, aber nur Xylaroo und ein Song, dessen Intro frappierend an Marek Grechutas Dni których nie znamy erinnert, bleiben hängen. Bei Wikipedia lese ich später, dass Grechuta schon 2006 gestorben ist. Gleich daneben ist ein weiterer Tab offen, mit Youtube, wo er singt, czasu jest tak wiele, wir haben so viel Zeit. Sechzig ist er geworden.
Das Kind ist aus dem Haus, Regen trommelt ans Fenster, ich trinke den übrig gebliebenen Tee und nehme mir Die rechtschaffenen Mörder von Ingo Schulze. So dankbar ich bin, dass dieses Buch geschrieben worden ist, so fluffig es sich runterliest, so fertig macht mich der Protagonist. Sein unangenehmer Charakter ist provokativ hochgebürstet, und das ist nur streckenweise lustig. Ob Schulze übertreibt, es sich zu billig macht, diese Karikatur von Mensch zu zeichnen? Wenns mal so wäre. In diesem Jahr habe ich so viele Bücher wie nie gelesen, die mit mir privat auf die eine oder andere Weise zu tun haben. Bei den Rechtschaffenen Mördern ist es vor allem der Schauplatz des Geschehens, der Dresdner Osten, der mir so vertraut ist. Ich finde das immer noch total verblüffend und zögere, das einfach so anzunehmen. Ich bin mit dem Dogma aufgewachsen, es sei unseriös, sich beruflich mit etwas zu beschäftigen, das sich aus persönlichen Gründen anbiete. Also, eine Sorbin etwa, die Sorabistik studiert – das geht von vornherein nicht, weil zu subjektiv, die kann dann gar nicht objektiv darüber urteilen. Das wäre gar keine professionelle Wissenschaft. Auch lieber Männer als Frauenärzte, usw. Wer genau hat mir diese Ansicht vermittelt? Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich, dass ich damals das Argument nicht verstanden habe, es aber die einzige Eintrittskarte in die Berufswelt zu sein schien und ich mich schulterzuckend danach gerichtet habe. Heute sehe ich, was für ein anmaßender Unsinn das war. Wieviel Zeit es mich gekostet hat, so unkritisch gewesen zu sein.
Zwei Lektionen Spanisch absolviert, zuerst mehr aus Pflicht, dann macht es aber doch Spaß.
In meinem Zimmer habe ich die Heizung auf 1 gedreht, was vergleichsweise mollig ist. Der überwiegende Rest des Hauses ist viel kälter. In der Vorwoche, noch ohne Heizung, war es so kalt, dass ich es schier nicht ausgehalten habe. Es ist ja so verlockend, einfach den Drehregler aufzudrehen. In der ZEIT hatte vor ein paar Tagen eine Kolumnistin geschrieben, sie habe jetzt gelernt, auch erstmal die Pulswärmer anzuziehen, bevor sie auf 5 hochdreht, was ich selbst als Provokation noch blöd fand.
Nachrichten habe ich nur kurz gelesen, ich komme gerade wieder nicht hinterher. Ich denke immer, ich kann die Meldungen nicht einfach so konsumieren, ich muss dann auch was damit machen. Sie mindestens irgendwie verarbeiten, sie akzeptieren lernen, und wenn möglich, mich dazu irgendwie verhalten. Aber wie sollte ich die Geschehnisse in Iran, die Teilmobilmachung in Russland eben so hinnehmen? Keine Zeitung lesen geht aber auch nicht, also lese ich die wichtigsten Meldungen und bin erwartungsgemäß schockiert.
Ich arbeite den ganzen Tag über an einem Text, der vor dem Hintergrund der Machtübernahme der Nazis spielt. Ein altbekanntes Thema, zu dem ich aber doch noch viele Fragen habe. In der Familiengeschichte kamen in den letzten Jahren ̶ nach all der Zeit ̶ bedrückende Neuigkeiten darüber erstmals zur Sprache. Wenn ich dann versuche zu verstehen, wie das gesellschaftliche Klima damals war, was passiert ist, und welche Geschichten mit den wenigen Erbstücken verbunden sind, wird es immer eindrücklicher. Es fühlt sich an, wie wenn man ein taubes Körperteil massiert und plötzlich wieder Schmerzen darin hat. Am krassesten ist aber, dass ganz ähnliche Themen aktuell durch die Nachrichten rauschen.
Zwischendurch schaue ich von Zeit zu Zeit nach dem kranken Kind, und mittags essen wir, zusammen mit dem gesunden Kind, das von der Schule wieder zurück ist, Nudelauflauf vom Vortag.
Die Katze bettelt herzzerreißend um Futter. Normalerweise hat sie wenig Sinn für Schmeicheleien. Sie ist transparent und glaubwürdig darin, uns links liegenzulassen und lieber ihre eigenen Wege zu gehen. Nachdem sie als Kätzchen so winzig und mager war, haben wir sie, zu ihrer großen Zufriedenheit, immer ordentlich fressen lassen. Jetzt haben wir aber festgestellt, dass sie wirklich nicht mehr wächst und stattdessen zu dick geworden ist. Wir rationieren ihr Futter. Das Tier streicht also um meine Beine, schaut mich ganz niedlich an, redet mit Engelszungen auf mich ein. Wenn es dann zum vollen Futternapf geht, wirkt es erschöpft, mit einer aufreizenden na-also-geht-doch-Attitüde.
Spätestens am Nachmittag wird klar, dass der Schnupfen, der mich schon den ganzen Tag über nervt, sich zur fiesen Erkältung auswächst. Mich beschäftigt sehr, dass ich dann nicht so produktiv wie sonst sein kann. Alles, was zu tun war, ist mir irgendwie wurstig durch die Finger gelaufen, weder erledigt noch liegengelassen. Dann denke ich wieder, was für ein Unsinn das ist, wer krank ist, soll sich halt ausruhen ̶ was aber weniger zu gelten scheint, wenn es dabei um mich geht. Der Rest des Tages geht unter in Taschentüchern, Frieren, Tee und großer Müdigkeit. Ich habe es gut und muss mich weder um Einkäufe noch um das Abendbrot kümmern. Ich lege mich einfach krank ins Bett, und der Tag reißt ab.
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