27. September 2023 – von Cornelia

Ein provisorischer Morgen. Aufwachen zwischen gestapelten Umzugskisten und dem Geruch von Lack in der Nase. Dem Sommer ist egal, dass eigentlich schon Herbst ist. Und so strömt durch die Fenster zwar kühle, aber golden-sonnige Luft. Ich hantle mich entlang der Morgenroutine im Bad zurück in den Alltag. Renovation Care-Creme, Brightening Care-Augencreme, Wake-up-Concealer, Correcteur de Teint-Foundation, Volcano Explosive Volume-Mascara, dazu zwei Spritzer Flora-Gucci. Der Weg in die Arbeit, mit dem Rad durch zwei Bezirke, ist ein Wimmelbild. Mein Rock flattert im Fahrtwind. Der Postler winkt mir zwischen Paketen entgegen, ein Mädchen mit pinken Haaren und Kopfhörern balanciert pfeifend die Gehsteigkante entlang. Auf der Baustellen-Kreuzung sitzen in Warnorange gehüllte Bauarbeiter wie Vögel auf einer Stromleitung aufgefädelt nebeneinander auf einer Mauer. Orthodox-jüdische Burschen mit im Wind flatternden Schläfenlocken rollern vorbei, eine telefonierende Frau zieht ein Kind hinter sich her in Richtung Kindergarten. Auf der Kaimauer zanken sich zwei Krähen um ein hartes Stück Brot, beobachtet von zwei Stadtgärtner, die zwischen Grünschnitt auf der Ladefläche ihres Kleinlasters jausnen. Würden die Szenen aus einem Wimmelbuch stammen, ich würde wohl die stereotyp den Geschlechtern zugewiesenen Rollen kritisieren. Unter der Brücke vermisse ich den sorgfältig zusammengerollten Schlafsack des Mannes, der hier seit dem Frühjahr seine Nächte verbringt. Verbracht hat? Sicher. Sobald es dämmert, ist der Sommer längst vorbei, es wird ihm zu kalt geworden sein. Oder? Oder dies ist kein guter Ort mehr für ihn. Nach den Morden an zwei obdachlosen Männern und der Attacke auf eine obdachlose Frau. Trotz der 10.000 Euro Belohnung für Hinweise scheinen die Ermittlungen im Sand zu verlaufen. Ich nehme mir vor, nachzulesen.

Urheberrecht und Software-Probleme prägen den Vormittag in der Redaktion. Dazwischen bleibt Zeit für Urlaubserzählungen des Kollegen. Über das Blutwunder in Neapel und die steilen Wege auf Procida. Die Mittagspause verbringe ich mit den Wissenschaftsseiten deutschsprachiger Zeitungen. Endlich läuft der Computer wieder so, wie er sollte, und ich kann endlich schreiben. Erfreuliches über die Brustkrebsforschung. Dazu ein Graffiti von Angelina Jolie, auf dem Mastektomienarben zu sehen sind. Ich stelle es im Ressort kurz zur Diskussion, ob das vorgeschlagene Bild geeignet ist. Später checke ich Fakten über das jugendliche Gehirn und leiere Interviews für die nächste Woche an. Wie sooft rast die Zeit und schon sitze ich wieder am Rad. Im Ohr meine Mutter, die mir vom spontanen Überraschungsbesuch einer alten Freundin erzählt. Daheim wieder Kisten. Und Möbelrücken. Und ein Kind, das getröstet werden will. In den leeren Räumen hallt es. Hier würde ich gerne am Klavier und mit der Akustik spielen, aber das Instrument duckt sich hinter Kommoden und Kästen. Die Fenster sind vorhanglos und so schauen mir Teenager auf Klassenreise aus dem Hotel gegenüber durch ihr Spiegelbild entgegen, während sie sich frisieren. I. und ich sinken ins Sofa und planen die nächsten Tage. Dazu ein Glas Weißwein, Humus, Oliven, Tomaten, Brot. Irgendwann ist der Kopf leer geredet. Ein gar nicht so provisorischer Abend.

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