27. September 2018 – von Sus Hösel

Das Klingeln des Biokistenmannes weckt mich. Er stellt die Kiste vor der Tür ab, ich beeile mich mit den Klamotten und das alles. Wähle die gefütterte Sorell und eine kleine, schwarze, stetsgeschlossene Strickjacke von H&M, die im Laufe des Tages etwas ausleiern wird. In der Küche stauen sich die leeren Biokisten der letzten Wochen – nicht sehr angenehm. Ich mache mir eine Kanne Tee und nehme mir zusätzlich Traubensaft, der leider nicht mehr so gut wie gestern schmeckt. Ein paar Nachrichten, deren Lektüre ich abbreche, als ich die Schlagzeile sehe, die AfD werde womöglich zweitstärkste Kraft (wann, wo?). Gleich früh so ein Ding vor die Nase geknallt bekommen. Es geht alles so schief.

Der Tag ist ganz klar, das Licht im Hof golden auf den Backsteinen. Gestern auf dem Berg, auf dem ich mit dem Rad gelandet war, hatte es weißlich ausgehen, wie diesig. Dabei hatte ich bis weit in den Harz schauen können. Ich hatte gedacht, dass das hier wirklich Gebirge ist, doch, ja, auf jeden Fall idiotisch, hier mit dem Rad etwas zu wollen. Die Krähen, die mit routiniertem Schnabelschwung links-rechts-links die Saat durchgingen, waren noch nicht einmal aufgeflogen, als ich gegen den Wind den Feldweg hochgegurkt kam. Heute habe ich Muskelkater, aber in den Schultern.

Für den Abend bereite ich ein Projekt vor. Etwas ganz Neues. Ich weiß noch gar nicht genau, welche Art von Gedanken ich mir machen soll. Angespannt bin ich, weil ich die Leute noch nicht kenne, ihre Sprache. Ich leiste es mir, mich wirrem Brainstorming hinzugeben, ich weiß dazu auch nichts Besseres, Rationales, Strukturiertes. Lasse mir Texte ins Hirn trudeln: die Interviewbände von Maxie Wander, Nadine Kegele, von Schwarzer gibt es auch einen, und dann den über Schwule in der DDR. Mir fällt ganz literaturwissenschaftlich ein, ich könnte sagen: “das emanzipatorische Potential dieser Textgattung”. Noja. Aber an die Bücher will ich trotzdem ran. Lege dieses Projekt beiseite. – Setze mich an eine Ausschreibung, für die ich letzte Woche was vorbereitet habe. Ob mir meine Ideen noch gefallen? Tun sie. Ich feile am Begleittext, lasse aber auch hier die letzten zwei, drei offenen Punkte noch stehen. Diese Suppe soll noch etwas köcheln.

Gegen Mittag bekomme ich Hunger. Ich mache mir Tee, räume Küche, Schlafzimmer und Kinderzimmer auf, lege die Wäsche im Wintergarten. Es sind 41 einzelne Socken. Langweilig!, mit 41 rechnet sich’s schlecht. Schön warm ist es im Wintergarten. Immer, wenn ich dort bin, überlege ich, warum der Architekt dieses Hauses keinen einzigen Wohnraum an die Südseite gelegt hat, sondern nur diesen Halbraum und, im Erdgeschoss, den Vorsaal. Es muss jemand arg Überhitztes gewesen sein, der sich das ausgedacht hat, wo es hier am Waldrand sowieso viel kühler ist als in der Stadt. Im Treppenhaus höre ich *, der langsam angetappt kommt und hoffentlich bis jetzt geschlafen hat. Müde und blass sieht er aus nach den Strapazen der letzten Tage.

Mit zwei Käsebroten wieder vor den Rechner. Eine Mail aus der Schule, es geht darum, dass einige Kinder Smartwatches mitbringen. Das sei verboten, brüllt mich die Mail in beachtlicher Schriftgröße und fettgesetzt an.
Weiter überlegen für Projekt #1. Wieder das Problem, dass ich nicht weiß, was genau ich mir ausdenken soll, woran ich anschließen kann. Ich mache das, was ich eben so mache, knüpfe Gedanken aneinander, bis irgendwas Netzartiges entsteht, füge was mit Technik und Picknick in die Überlegungen ein. Abends werde ich das Ganze vorstellen können und dann sehen, wie weit ich danebenliege. Nebenher lese ich den ZEIT-Artikel über die Frauen in Ost und West, schweife dabei aber immer ab. Man könnte sagen, der Artikel liest mich mehr als ich ihn. Insgesamt kein unangenehmes Gefühl, verworren, aber produktiv.

Am frühen Nachmittag kommt das größere Kind aus der Schule. Es hat gute Laune, ist ein bisschen verträumt. * hat Nudeln gekocht, ich esse meine mit Öl, Oregano und Parmesan. Im Radio laufen die Kulturnachrichten und wir reden über diese Schulmail mit den Smartwatches.
Fange mit den Notizen für diesen Text an. Dann fällt mir ein, morgen wird Besuch kommen, es muss also auch noch alles geputzt werden. Geputzt muss sowieso werden, wir sind nachlässig geworden, und Besuch ist der Anlass, den es gebraucht hatte. Ich fange wenigstens damit an, die Badezimmervorleger in die Waschmaschine zu stecken und das Gästezimmer vorzubereiten: Kissen und Decke beziehen, ein bisschen Ordnung machen. Unten übt das Kind Flöte. Ausgerechnet “Alle Vögel sind schon da” muss es lernen, wo ich mit dem Herbst so hadere und das Dumme und Unbedachte des Frühlings herbeisehne. Erst Dur, zwischendurch Gesang, dann Moll.
Es klingelt, *s Paket mit Olivenöl und Chilipaste kommt an. Der Produzent, den * ausfindig gemacht hat, legt jeder Bestellung ein kleines Geschenk bei: Marillenmarmelade, sowas, oder vor längerer Zeit: zwei Tassen. Was kommt diesmal?

Draußen besorge ich ein paar Blumen fürs Gästezimmer. Nach diesem Sommer sieht es mau aus mit Blumen, es ist einfach alles verdorrt. Nur ein paar pinke Astern finden sich, dazu Hagebutten und Rosenbutten in orange und gelb. Das jüngere Kind taucht endlich auf: es strahlt so ein bisschen und verkrümelt sich gleich wieder. Ich koche noch eine Tasse Tee, darf auch die Wäsche nicht vergessen.
Das Handy klingelt, der Abendtermin wird abgesagt. Der Tag hat plötzlich ein Loch. Ich schiebe es zu mit dem, wie ich die Abende zu Hause kenne, damit all das Vage verschwindet. Wir planen gleich einen neuen Termin.
Das größere Kind sonnt sich im Vorsaal zwischen Schuhen und Jacken, isst ein Schokoladen-Corny und macht mit seinen Händen ein Schattenspiel: ein Vogel, der den Schnabel aufreißt und zuklappt. Das Licht rötet sich bereits.

Bei beiden Kindern ist gerade Klassenarbeitszeit. Das größere Kind übt schon seit Tagen für verschiedene Fächer, das jüngere denkt sich raffinierte Strategien aus, um das Lernen zu vermeiden. Für die anstehende Deutscharbeit hat es sich mit jemandem aus der Parallelklasse ausgetauscht, die Deutsch schon geschrieben hat. Sag mir, was drankommt, und ich sag Dir, was in Sach ansteht. Im Paket liegt diesmal ein Töpfchen Himbeermarmelade, gibt es aus der Küche zu hören.
Post aus dem Königreich und vom Chor, mit ganz vielen Terminen. Ich raffe mich zum Saugen auf. Die Schatten vom Baum, die auf den Treppenstufen spielen, sehen hübsch aus. * putzt Bäder und macht irgendwas in der Küche. Der morgige Besuch ruft an, obs dabei bleibt, ja, bleibt dabei, das Gespräch dauert nur Sekunden. Im Wohnzimmer wieder Flötenspiel, diesmal experimentelle Töne. Der Staubsauger ist lauter. Auch die Fensterbretter wische ich ab und ähnliche Heike-Schäffer-Späße. So vergeht der Nachmittag in kleinsten Happen, am Ende fällt mir auch die Wäsche wieder ein.

* ruft uns zu Essen, Lasagne hat er gemacht. Er selbst geht zum Elternabend, um den ich mich drücke, obwohl ich theoretisch dran wäre. Die Haare könnten nach dem Hausputz nun doch eine Wäsche vertragen, ich mag so nicht rausgehen. Nach dem Essen lässt sich das größere Kind nochmal abfragen. Wir gehen in der schummrigen Küche das Thema Fotografie durch: Schnappschuss vs. Inszenierung, Bildausschnitt, Perspektive, Ausleuchtung, Niepce, Daguerre und Fotofilm. Die Sache mit der analogen Fotografie hatte ich neulich lange erklären müssen und war mir vorgekommen wie Oma, die vom Ersten Weltkrieg erzählt. – Im Bett lese ich Krabat vor, Tonda überlebt den Abend nicht. Alle traurig. Insgeheim stolpere ich im Text über Worte, die kein Sachse, keine Sächsin sagen würde, auch kein_e altertümlich sprechende_r. Preußlers Sachsen ist ein aus der Ferne ausgemalter Ort. Jetzt, wo ich diese Begriffe aufschreiben will, an denen ich mich stoße, haben sie sich bereits aus meinem Gedächtnis verflüchtigt.
Danach noch ein bisschen Fleiß. * kommt heim, berichtet, was es zu berichten gibt. Es wird wieder später als gedacht, meine Strickjacke hat ein wenig Form verloren. Noch schnell den Müll rausstellen, zu seinen peers unter die Laterne.

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