Mein Tag beginnt kurz vor halb 8. Der Rest der Familie ist schon beim Frühstück. Ich habe Schonfrist, weil es eine Ausnahme ist, dass S. da ist. Er dreht bis Ende des Jahres in München und ist seit Juli normalerweise höchstens am Wochenende zu Hause. Währenddessen bin ich Frau Mental Load hoch 3.
A. muss zu einem Pulli und einer Jacke überredet werden, dann macht er sich auf den Weg zur Schule. Er schreibt heute die erste Mathearbeit seines Lebens. Ich beneide ihn nicht, aber A., der kleine Zahlenfan, muss sich ja keine Sorgen machen und verabschiedet sich frohen Mutes. S. bringt W. mit dem Fahrrad zum Kindergarten und fährt danach mit der kleinen M. zur Musikschule, um im Kurs Baby 2 zu singen und tanzen und einen Eindruck von meinem aktuellen Alltag zu gewinnen.
Ich bin währenddessen beim Zahnarzt, ahne nichts Böses, denn wenn auf etwas in meinem Leben Verlass ist, dann auf meine Zähne. Doch ausgerechnet diesmal ist mir mein Erfolg wohl zu Kopf gestiegen oder waren es doch die Schwangerschaften? Auf jeden Fall brauche ich die erste Füllung meines Lebens und nein, es ist auf nichts mehr Verlass!
Mitleidig regnen mir draußen die Tropfen in den Kragen. Wie soll ich denn jetzt wieder einen Termin finden und wer passt währenddessen auf M. auf? Denn M. ist noch nicht in Betreuung, W. zu klein, A. zu ungestüm, um auf sie aufzupassen, S. ist nunmal nicht da und unser Babysittergesuch hing wochenlang unbeantwortet in ebenjenem Treppenhaus, in dem die Kinder offenbar nicht den allerbesten Eindruck hinterlassen. Wenn Sie den Termin auf nächstes Jahr verschieben, dann kann alles schon ganz anders aussehen, hatte der Zahnarzt gewarnt. Während ich zum Laden gehe, denke ich an Thomas Buddenbrook.
Passend zum Herbstwetter kaufe ich Pilze und Semmelbrösel und Blattspinat, denn ich will Semmelknödel machen und merke erst zurück zu Hause, dass ich noch gar nicht gefrühstückt habe. Was in letzter Zeit häufiger vorkam, weil mir vor allem ein paar Sachen wegen der Arbeit auf den Magen schlugen, aber hey, immerhin hab ich jetzt mein Gewicht von Anfang 20 zurück. Ich staune, dass meine Schwester M., die für zwei Tage zu Besuch ist, immer noch schläft, aber da im Oktober ihr erster echter Job beginnt, wird es mit diesem Lotterleben auch bald ein Ende haben.
Ich telefoniere mit meiner Kollegin und Freundin, die mich nicht erreicht hat, als ich beim Zahnarzt war. Zusammen haben wir auch das Projekt geschrieben, das S. gerade dreht und weil es da weiterhin ein paar Dinge zu klären gibt, telefonieren wir immer noch recht oft und verquatschen uns auch diesmal wieder über die Sachen, die wir so zu tun haben und darüber wie doof unser Beruf ist, aber wenigstens ist privat alles schön.
Nun muss ich aber echt an den Schreibtisch, denn dort liegt ein toller Roman, den ich adaptieren soll. Ich lese die ersten Seiten, die ich letzte Woche geschrieben habe, meine Begeisterung hält sich in Grenzen. S. und M. kommen zurück, die eine M., meine Tochter, geht schlafen, die andere M., meine Schwester, steht auf. Ich sollte Mittagessen machen.
M. hilft ein bisschen beim Schnibbeln, aber irgendwie ist heute nicht mein Tag, denn die Knödel zerfallen und so richtig super schmeckt es nicht. Nur die Soße ist lecker, obwohl ich nicht weiß, ob die anderen überhaupt Gorgonzola mögen. Trotzdem essen alle brav auf. Nur die kleine M. verschmäht erst die Knödel (weil da was Grünes drin ist) und dann die Pizza (weil die von gestern ist) und isst am Ende ein Croissant zu Mittag.
Ich versuche noch mal etwas Struktur in meinen Drehbuch-Anfang zu bringen, während S. mit der kleinen M. spazieren geht. Der großen M. geht’s leider nicht so gut und so beschließt sie, einen Tag früher als geplant nach Hause zu fahren.
Ich bin ganz überrascht, als es um 15 Uhr an der Tür klingelt und A. nach Hause kommt. Aber stimmt, dienstags kommt er ja schon ne halbe Stunde früher aus dem Hort, damit ich W. noch rechtzeitig vom Kindergarten abholen kann, bevor ich A. zum Schach bringe. Da ersteres S. übernimmt, ist es heute vergleichsweise entspannt. A. radelt vorweg, weil ich sehen möchte, ob er den Weg zum Verein eventuell schon allein schaffen kann. Er findet das Gebäude ohne Probleme, passt an den Straßen auf, kann sogar das verbogene Zahlenschloss richtig einstellen. Innerlich triumphiere ich schon – dann bekommt A. die Tür nicht auf. Wenn man für etwas Kraft braucht, dann ist das meistens nicht sein Ding. Schach hingegen umso mehr. Deshalb habe ich diesen zusätzlichen Termin noch auf uns genommen. Und weil A. mich manchmal an die Hauptfigur aus Queen’s Gambit erinnert. Die anderen im Schachverein sind genauso schräg wie A. und wieder stehe ich bei der Begrüßung etwas hilflos da. A. hüpft fröhlich hinein und hält nach einem Tisch Ausschau, an dem sie jetzt für eine Stunde Tricks lernen und dann für eine Stunde spielen. A. ist erst zum zweiten Mal da. Als ich ihn letzte Woche fragte, ob zwei Stunden nicht etwas lang wären für ein Kind, das sieben ist, meinte er, für ihn würde sich das anfühlen wie fünf Minuten. Als ich zurück fahre, muss ich darüber lachen.
Wir verabschieden die große M., die zum Bahnhof geht und begrüßen W., die sich schon fürs Tanzen fertig macht. Spätestens jetzt wirken wir wie eine richtige creepy Familie, aber der Dienstag ist bei uns neuerdings halt ein bisschen strange. S. verdreht auch schon die Augen und fragt, warum ich nicht Musikschule oder Schach sausen lasse, aber für die Kinder ist es ja nur ein Termin und sie gehen so gern da hin.
Tanzen ist nur ein paar Häuser weiter und S. bringt Kuchen mit. Kaffee ist jetzt auch gut. Und M. hat sowieso immer Hunger. Anschließend spaziert sie mit ihrer Umhängetasche durch die Wohnung und kehrt nur zurück, um mit ihren kleinen Patschehänden die untere Etage der Spülmaschine auszuräumen. „Da“ sagt sie immer, während sie mir die Teller entgegen hält. Sie ist ein Jahr alt und die einzige, die im Haushalt hilft. Mein Kollege C. schickt mir ein Konzept, das in der Endrunde bei der Produktionsfirma ist. Das wäre was, wenn es klappt. Dann schreibe ich zur Abwechslung mal einen Animationsfilm.
Als ich W. abhole, erzählt sie fröhlich von ihrer neuen Tanzlehrerin, weil die alte jetzt ein Baby bekommt, und tanzt den ganzen Weg zurück. W.’s Love Interest E. war heute aber nicht da. Sie mag ihn, weil er „nicht so hektisch“ ist. Zu Hause schauen wir ein bisschen Kindermusical.
S. kommt mit A. heim, der zufrieden ist, weil er sein Spiel gewonnen hat. Es gibt Abendbrot, dann schauen die Großen noch ihre Sendungen. Ich wickle M. und stecke sie in ihren Schlafsack, lese ihr wie jeden Abend „Alle müssen gähnen“ vor und singe ihr Gutenachtlied. S. liest A. und W. „Die schrecklichsten Kinder der Welt“ vor, diesmal geht es um den ernsten Ernst und im Gegensatz zum ernsten Ernst lachen sich A. und W. kaputt.
S. und ich sitzen auf dem Sofa. „Und jetzt?“ „Fernsehen?“ Es ist echt wie vor zehn Jahren, als wir ne Fernbeziehung hatten. Man hat nur zwei Abende und eigentlich will man was Besonderes machen, aber eigentlich will man auch einfach nur Fernsehen. Wir reden noch ein bisschen, S. telefoniert mit einem Kollegen vom Set. Läuft wohl alles soweit. Dann ist ja gut.
Wir schauen „Wie weiter, SPD?“, weil SPD-Dokus anscheinend unser neues Lieblingsgenre sind und eine Doku darüber, wie viel Geld Frühchen den Kliniken bringen und dass das teilweise ein Anreiz sein könnte Kinder früher zu holen? Kann das wirklich sein? Wie krass ist das bitte. Wir schauen Dokus, weil wir Fiction zur Zeit gar nicht mehr richtig mögen oder uns dabei einfach zu viel durch den Kopf geht. Ich habe schon etwas Angst, dass wir eine Depression haben. Oder nur S. oder nur ich. Oder Burnout.
Als wir um halb 12 ins Bett gehen, bin ich in einem seltsamen Dämmerzustand. Ich habe plötzlich das Gefühl, als läge ich ganz weit weg in einem tiefen Loch. Es ist sehr unheimlich. Kurz steigen mir die Tränen in die Augen. Eigentlich sollte es die schönste Zeit unseres Lebens sein. Ist es aber nicht. Politisch ist es auch schlimm. Nur privat ist es schön. Die Kinder sind nebenan und schlafen und S. ist da und nimmt mich in den Arm. Auf irgendwas ist doch noch Verlass.
Kommentar verfassen