27. September 2022 – von Jess Tartas

Mein liebes Gespenst,

Mein liebes Tagebuch,

um kurz nach Mitternacht liege ich im Bett und lese die Einträge der Autor*innen auf dieser Seite.  Einige berühren mich, weil sie sehr persönlich sind. Ich schließe meine Augen und denke an meinen Text, den ich am nächsten Morgen beginnen werde. Ich freue mich auf den kommenden Tag. Das erlebe ich selten. Vielleicht ein paar Mal in den letzten Jahren. Dann schlafe ich ein.

Ich träume von meiner Insel im Switch-Game Animal Crossing. Mein Mann Morton fängt einen Orca und ein Junges. Das Spiel erlaubt es nicht, Orcas gefangen zu halten, also lässt er die beiden frei. Ich frage mich, was mit den ausgestellten Tieren im Insel-Museum geschieht und wache vor dem Weckerklingeln auf. Ich bleibe noch etwas im Traum und bei der Möglichkeit, alle Tiere aus dem Museum freizulassen. Es ist nur ein Spiel, sage ich mir. Aber.

Morton wacht auf und fragt, was los ist. Er spürt meine Gedanken. Ich erzähle von meinem Traum, dass mein Wecker noch nicht geklingelt hat und er sagt, ich solle noch etwas dösen. Ich öffne Twitter und lese mir die vielen Antworten durch, die ich über Nacht auf meinen Tweet bekam. Ich habe fünf Dinge aufgelistet, die ich mag (Weiches Moos, Pho, das Geräusch, das Deckel und Zuckerdose machen, wenn sie sich berühren, Pferdenasenstüber, Herbstluft) und die Aufgabe an alle zurückgegeben. Die Antworten sind so wholesome, ich wünschte, Twitter wäre öfter so.

Mein Wecker klingelt. Ich stehe auf, schlüpfe in das Kleid mit dem bestickten Kragen und mache mich tagfein. Meine lockigen Haare stecke ich hoch, meine Augenbrauen ziehe ich nach. In den 2000ern mochte ich Drew Barrymore gerne, also zupfte ich mir die Augenbrauen wie Drew es in den 1990ern tat. Meine Brauen wuchsen nie wieder so richtig nach. Über meinen Augen stehen zwei feine Bögen wie Spangen. Ich begegne ihnen mit Sanftheit und begreife sie an guten Tagen als eine Reminiszenz an Marlene Dietrichs bewundernswerte Brauen.

Ich packe meinen Rucksack, setze meine Kopfhörer auf, verlasse das Haus und steige auf mein Fahrrad. Es sprüht feinen Regen, vereinzelt klatschen Tropfen gegen mein Gesicht. Nicht einmal die Krähen sind dort, wo sie sonst sind. Aus einem Lied höre ich Pferdehufe heraus. Ich freue mich auf die Arbeit in der DÜNE, denn endlich sehe ich meine Kollegin Helen wieder. Wir sahen uns in den letzten vier Wochen nicht, die Gründe liegen in diesem Jahr auf der Hand. Wir alle müssen vorsichtiger sein. Als ich Helen sehe, denke ich sofort an Erdbeeren. Sie trägt oft die schönsten Farben. Jene, die ich selbst nie trüge, meine Haut ist so blass, in vielem sehe ich äschern aus. Aber Helen kann alle Farben Rot und Rosa tragen und sieht aus wie das blühende Leben. Wir fallen uns in die Arme.

Unsere Kollegin Sandra kommt hinzu. Dann unser Praktikant. Wir starten in eine lange Besprechung, um das Programm für das restliche Jahr zu planen. Dafür haben wir uns den ganzen Tag Zeit genommen. Am Abend werden wir mit unserer Planung nicht fertig sein. Natürlich nicht.

Sandra versorgt uns mit Brötchen und Snacks, wir lachen und diskutieren und schmieden Pläne. Ehrenamtliche einbinden, Kooperationen mit anderen Projekten, Geld, Konzerte, Lesungen und wann wir frei machen wollen. Ich hoffe, dass jede von uns genügend Raum erhält.

Am Abend wird es voller. Ich muss mich bemühen, nicht unterzugehen. Manchmal reden Menschen über mich hinweg, es passiert einfach. Ich frage mich, wie vielen es noch so geht und wünsche mir, es gäbe mehr von uns. Ich wünschte, ich hätte immer die passende Antwort parat, wenn mir jemand einen Namen gibt, den ich mir selbst nicht gab.

Gegen halb sieben mache ich Feierabend. Es regnet genauso wie schon am Morgen. Ich kaufe auf dem Weg schnell etwas ein, fahre den Weg zurück nach Hause und höre dabei Musik. Fünf neue Alben erfüllen mich derzeit mit Energie. Ich gehe in der Musik auf und es gelingt mir, den Weg so schnell zu fahren, dass ich mich wundere, als ich mein Rad im Schuppen abschließe.

Zu Hause öffne ich ein Paket mit einem handgefertigten Tellerrock darin. Er ist ein Vintage-Einzelstück und er hat Taschen. Mehr muss ich dazu nicht sagen. Kenner*innen wissen Bescheid. Ich habe wohl im Vergleich zu den üblichen Fast Fashion-Trends sehr wenig Kleidung. Mit meinem Mann teile ich mir einen Garderobenschrank sowie eine große tiefe Truhe – ein Stück aus der ehemaligen Hausmeisterwohnung des alten Karstadt-Gebäudes der Stadt – und eine Kommode habe ich für mich allein. Wo der Rock nun seinen Platz finden wird, weiß ich noch nicht genau. Vermutlich werde ich ihn sorgfältig zusammenlegen und unten links in der Kommodenschublade verstauen. Noch liegt er ausgebreitet auf dem Sofa und ich sehe ihn vom Küchentisch aus, an dem ich sitze und schreibe.

Regen, Regen, es fröstelt mich. Ich habe die Heizung angemacht. Vier Kerzen, eine Lampe auf der Fensterbank und Musik im Hintergrund.

Eben ist Morton nach Hause gekommen. Manchmal arbeiten wir beide sehr lang. Die Abende dauern dann, wir können beide nie sofort zu Bett gehen. Ich weiß nicht, was nun noch passieren wird, es ist bald 22 Uhr. Eigentlich sollte ich zu Bett gehen. Aber ich habe auch Lust auf Erholung. Die Sätze werden kürzer. Wir haben zu wenig Zeit.

Wir teilen uns Pizza und schauen eineinhalb Folgen Sandman. Morton geht zu Bett, ich lasse die Zeit noch etwas verstreichen. Als ich schließlich überall das Licht ausschalte, sagt er, nun sei Geisterstunde, und ich husche zu ihm ins Bett.

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