Hin und wieder fühle ich mich exakt so wie im Buchtitel „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen“ von Benjamin von Stuckrad-Barre. Vor 25 Jahren wollte ich ihn gerne heiraten. Dazu kam es nie.
Im Halbschlaf bekomme ich mit, wie der Halbtagshund kommt. Die Freundin, mit der ich mir den Hund „teile“, muss zum Frühdienst. Sie kommt leise in die Wohnung, „schnallt“ den Hund ab und der weiß, was zu tun ist: In mein Zimmer schlüpfen, auf mein Bett springen, mich kurz abschlecken, sich fünf Mal drehen, mit einem schweren Plumps niedersinken und leise zu schnarchen beginnen. Er ist ein Langschläferhund – was ich sehr schätze.
Trotzdem kommt der Augenblick, an dem wir beide „mal müssen“. Er bewacht das Zähneputzen, wedelt mit dem Schwanz beim Hoseanziehen und freut sich, wenn ich die Leine hole. Der Startschuss fällt für ihn, wenn ich Kopfhörer aufhabe und die Hundebeutel sowie Leckerli verstaut habe. Übergroße Freude.
Wir wandern zu „Mr Blue Sky“ los.
Beim Gang durch den Park geht mir die vergangene Fortbildung „Trauma und Schock“ durch den Kopf. Das Wochenende war heftig – inklusive der Selbsterfahrung. Dreizehn Menschen, die ihre Geschichten miteinander teilen, auf dass sie irgendwann anderen „Mühseligen und Beladenen“ helfen können. Es war sehr intensiv und gut auf eine heilsame Art und Weise. Das ein oder andere muss noch tiefer in die Seele sacken.
Der Gang durch den Stadtpark ist genau das richtige. Leichter Nieselregen, sieben Eichhörnchen und fallende Blätter. Der Hund findet alles super. Herbst ist seine Zeit. Wie Snoopy tanzt er mit fallenden Blättern, freut sich über seine vermeintliche Stärke bei jedem Raben, der aufflattert, wenn er kläfft. Eine Kastanie ist der beste Ball, den es für ihn gibt.
Ich wandere neben ihm her und finde ihn einfach nur entzückend. Seine Unbekümmertheit ist nach so viel „Traumagedöns“ genau das richtige.
Der Tag soll völlig entschleunigt sein.
Ich koche eine Suppe. Ich liebe es, Gemüse kleinzuschnippeln, dabei Podcasts zu hören, zwischendurch den Hund – der ähnlich wie ich den „Chillplan“ mitmacht – zu flauschen. Er liegt schon wieder in meinem Bett und lässt den lieben Gott einen sehr guten Mann sein.
Ich trödle durch den Tag. Irgendwann kommt das Kind von der Schule, wir essen Suppe. Das neu ausprobierte Topping der Suppe – frittierte Kartoffelschalen – findet es so semi-gut, der Freund hingegen ist begeistert.
Der Hund wird von der Freundin abgeholt. Vielleicht können sie noch ne Runde durch den Wald drehen, bevor es regnet. An solchen Tagen friert der Hund so leicht. Er hat zwar wunderhübsche Locken – aber keine wärmende Unterwolle.
Ich leg mich wieder hin. Lese das Internet leer. Höre Videos zu und dem Regen der vor meinem Fenster in die Büsche tropft. So kann der Tag weitergehen. Es braucht viel mehr solche Tage, an denen ich der Welt abhandenkomme. Viel zu selten gönne ich sie mir.
Wie bei Loriot: nur liegen und nichts tun. Wie bei Benjamin von Stuckrad-Barre.
Nachmittags telefoniere ich mit meiner Mutter. Am Wochenende wird sie 84 Jahre alt. Wie heiter sie klingt. Wie jung ihre Stimme. Sie erzählt von Todesfällen im Freundeskreis mit scheinbar kindlichem Erstaunen. „Weißt du, wer jetzt gestorben ist?“ Vielleicht ist das Erstaunen ihr Schutz vor der eigenen Sterblichkeit. Diese Nachrichten werden häufiger. Beerdigungen lösen Geburtstagsfeiern ab.
Sie fragt nach dem Wochenende. Ich erzähle. Und kurze Zeit später sind wir bei den eigenen „Traumageschichten“ und ihren Folgen. Sie, die immer noch mit einer Decke über dem Ohr einschläft, um mögliche Bomben nicht zu hören. Ihre Liebe zu Krankenhäusern und deren Gerüche, die vielleicht darin begründet sein mag, weil dort die Großmutter so oft lag – die Konstante ihres Kinderlebens.
48 Minuten telefonieren wir und ich liebe alles dran. Den wachen und aufmerksamen Geist. Ihre Art zu antworten – auch wenn manches für sie neu, „Firlefanz“ oder „nicht der Rede wert“ sein mag: sie spricht mit mir darüber. Ich sauge ihre Geschichten ein. Ihre Meinung. Ihre Haltung. Und ahne jetzt schon, wie sehr ich es in – hoffentlich noch ferner Zukunft – vermissen werde.
Wer lange liegt, muss später ran. Es ist noch einiges „abzuarbeiten“. Der Abend gehört dem Computer. Der Arbeit und der inneren Welt. Den Kartoffeln, die nebenbei für den morgigen Tag kochen. Dem Kind, das im Hintergrund mit seinen „Gamerfreunden“ immer einen Tick zu laut über das Headset spricht.
Es war und ist ein unspektakulärer und reicher Tag.
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