Unaufgeregtes Geplätscher
Immer dann, wenn alles perfekt ist, um einzuschlafen, fängt mein Hirn im Zustand völliger Entspanntheit an, nachzudenken und Ideen zu schmieden: Für einem kommenden Auftritt, für den ich noch einen Text brauche. Über den kommenden Tag, der organisiert sein will. Über einen Internetkumpel, der mir kryptisches und komisches schrieb, auf den ich mir keinen Reim machen konnte. Dazu – so scheint mein Geist zu denken – eigenen sich die Stunden nach Mitternacht scheinbar am besten. Kurz: die Nacht war kurz, als der Wecker klingelt. Viel zu früh – wie oft. Nach eineinhalb Jahren, in denen ich nicht mehr für einen Frühdienst aufstehen musste, hat sich tatsächlich eine Art Schlafrhythmus entwickelt. 6.30 Uhr gehört nach wie vor nicht dazu. Es nützt aber nichts – die Kinder wollen auf den Weg gebracht werden.
Literweise Kakao und ein Spiegelei später machen wir uns gemeinsam auf den Weg. Ich bringe sie ausnahmsweise mit dem Auto in die Schule, denn mein Weg führt mich weiter zu meiner Hausärztin, bei der ich ein Rezept abhole. Ihre Praxis ist 12,5 km entfernt, wie mich das Navi wissen lässt. Ich brauche immer das Navi, um zu ihr zu fahren. Das ist gut für mich, weil es bedeutet, dass ich selten zu ihr gehe. Sie hat die Praxis in einem Wohngebiet mit zu vielen kleinen und klitzekleinen Straßen. Ich verfahre mich immer. Versuche ich, mir die Wegstrecke einzuprägen, ist das große Plasik-Eis am Wegrand für den Winter schon eingemottet und gibt mir keinen Hinweis mehr, ob ich richtig abgebogen bin.
Ich löse das Rezept bei einem Apotheker mit zu viel Pomade im Haar ein. Seine gelangweilte Routine am frühen Morgen möchte ich boxen. Ich nehme mir für den Tag vor, mehr zu lächeln. Es sieht besser aus als Muffeligkeit und Langeweile.
Der Vormittag gehört mir. Seit Monaten war ich einen ganzen Vormittag nicht mehr alleine zuhause. Allein. Zuhause. „Kein Schichtdienst“ bedeutet, selten alleine zu sein. Ich gehe nach den Kindern aus dem Haus und betrete meistens die Wohnung wieder mit ihnen – oder später.
Kein Mann, keine Kinder, kein Haustier stören mich heute in den nächsten drei Stunden.
Ich drehe Electronic Dance Music lauf auf. Laut alleine schon deshalb, um den Staubsauger zu übertönen. Mein lustigster Moment an diesem Tag wird sein, wie ich dem Postboten öffne und den abgelegten, nicht ausgeschalteten Staubsauger darüber vergesse. Um mich später über die wahnsinnige Geräuschkulisse zu wundern, die über allem liegt. Bis mir der Staubsauger wieder einfällt. Ich bin die Reinkarnation der vergessliche Haushälterin aus dem Roman: „Diese Lücke, ach diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff.
Nach der Putzeinlage – es nützt ja nichts – schnipple ich Gemüse. Ich liebe das. Es soll eine Art Ratatouille geben. Ich höre ein Hörbuch dabei. Auch das liebe ich. Es sind Augenblicke, in denen ich innerlich versinke. Kleine Alltagsfluchten, in denen nichts wichtiger erscheint, als zuzuhören und mir zu überlegen: schneide ich Würfel, Streifen oder – total crazy – eine Raute.
Mit vollem Magen, aber glücklich über das leckere Essen, radel ich zu meinem Friseurtermin. Wir mögen uns sehr, die Friseurin und ich. Wir sind vertraut miteinander. Sie weiß, dass ich kälteres Wasser bevorzuge. Ich, dass ich mich in ihre Sessel schmiegen und gleiten lassen muss. Sie nennt es „entspanntes Sitzen beim Schneiden“. Wir reden über das Alter. Wie komisch wir uns angesichts dieser stetig steigenden Zahl fühlen, die scheinbar nichts mit uns zu tun hat. Früher waren Menschen unseren Alters alt. Wir schauen in den Spiegel und sehen zwei „krass-gute Frauen“. Eine mit – eine ohne Mäntelchen um den Hals.
Mit frischer „Frise“ wird der Tag mit Käse zu überbacken: ein Mittagsschläfchen. Ich mag den Gedanken, einen Tag in mehreren Abschnitten zu leben. Dazu gehört in jedem Fall ein Nickerchen.
Das Hörbuch, ein Handyspiel, die warme Decke, der rauschende Regen vor dem Fenster und das Geräusch der Autos, die durch Pfützen fahren, lassen mich einschlummern.
Aber nur kurz.
Es muss noch ein Text erdacht und gedichtet werden. Die grobe Ahnung ist im Kopf. Ich beginne. Verwerfe. Beginne erneut. Und bin heilfroh, dass das Zeitalter der Schreibmaschine vorbei ist. Innerhalb kürzester Zeit würde ich in einem Wust von Zetteln sitzen. Das, was grob im Kopf Konturen angenommen hat, ist schwieriger zu formulieren, als gedacht.
Ich kann später weiterdenken, denn der Gatte ruft an: das Auto springt nicht mehr an. Ob ich mal bei der Nachbarin zur Rettung und zum Überbrücken klingeln könnte.
Eine Hose und Schuhe später, sitzen sie und ich im Auto, dem Manne zur Rettung zu eilen. In meinem Hass-Stadtteil mit sehr engen Straßen und dickem SUV überbrücken wir mitten auf der Straße bei Dauerregen den Wagen. Die Kinder wechseln das Auto und fahren mit der Nachbarin und mir heim, der Mann fährt in die Werkstatt. Sein Tag war auch anderes geplant.
Der Text klemmt. Das Kind möchte einen Superskill für sein Computerspiel kaufen – gänzlich ohne Geld. Nur mit unserer Kreditkartennummer, Blut eines Einhorns sowie der Opferung des Erstgeborenen. Jetzt sofort und auf der Stelle solle ich ihm zuhören – nur diese einzige Mal, ohne ihn gleich zu unterbrechen. Alle machen das! Ich lächel höflich. Des Kindes Haar sieht ähnlich aus wie die Pomaden verseuchte Haarpracht des Apothekers zur frühen Stunde. Es erinnert mich an meinen Vorsatz. Das Kind findet den Skill nicht. Ich darf weiterdenken.
Unterbrochen vom Gatten, der die Wohnung plötzlich stürmt, Leergut und Kind schnappt und zack – schon wieder weg ist, seinen durcheinandergeratenen Tagesplan wieder aufnehmend, um einzukaufen.
Es verdrießt mich, dass ich nicht so weit komme. Mühsam reihen sich Worte aneinander und werden wieder verworfen, überarbeitet. Wer selbst schreibt, kennt den Prozess. Die selbstgebackene Torte von der Freundin, die vom Vortag noch im Kühlschrank steht, hilft.
Das Besucherübernachtungskind klingelt. Zunächst braucht er Hilfe, um seinen Computer ins Haus zu schleppen. Und den Monitor. Sie wollen „zocken“. Gerne bis nachts um 2 Uhr. Danach sehe ich ihn und alle anderen vorerst nicht mehr wieder. Sie sind in ihre Welten eingetaucht.
Ich wünschte, ich würde ebenso in meine Welt des Textes auch eintauchen können. Wenn es klemmt hat sich „Prokrastination hart“ bewährt. Badewannenwasser an.
Facebook, Twitter, Instagram an. Auch Netzwerke wollen beachtet werden. Das geht gut im warmen Wasser. Lange bade ich in den Abend hinein. Im Hintergrund wächst der Text, der noch geschrieben werden will. Er gedeiht gut in dieser Atmosphäre.
Dieser 27. September wurde ihnen präsentiert unter dem Motto: „Nichts passiert. War auch schön.“
Und wirklich – Tage, die so unaufgeregt dahin plätschern – wann hat man die schon wirklich? Und wie sehr hat man sie doch oft nötig, weil man sonst mit den Ereignissen des Lebens gar nicht mehr hinterher kommt? Danke, lieber 27. September, für ein gerüttelt Maß an Langeweile mit der schönen Hintergrundmusik eines ausgiebigen Herbstregens.
Geprägt hat das Zitat der Zeichner und Autor Eugen Egner in seinem Buch „Die Tagebücher des W.A: Mozart. Illustiert von ihm selbst.“
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