Wecker brauchen wir keinen mehr, weil die Kinder zuverlässig zwischen 6 und 7 rüberkommen. S. flüchtet dann in A.’s Bett und ich warte, bis die beiden so lange auf mir herumgeklettert sind, dass ich wach genug bin aufzustehen. Heute nicken wir alle drei noch mal ein, eingekuschelt wie in einer unrealistischen Werbung – das ist das Schönste, was morgens passieren kann.
Wir sind dadurch etwas später beim Frühstück und Eile am Morgen ist für A. gar nicht gut. Er muss um 9 im Kindergarten sein, weil die Gruppe eine Generalprobe für ihren Auftritt am Sonntag hat, hat sich aber in den Kopf gesetzt, nach dem Frühstück noch zu basteln und zu spielen. Beides geht nicht, Entscheidungen sind A.’s Stärke nicht und so wird das ein sehr unruhiger Morgen.
Die Fahrräder sind nass und während S. W. im Anhänger zur Tagesmutter bringt, kommt A. gar nicht in die Gänge. Er weint, weil ihm langweilig ist (beim Fahrradfahren) und sagt, seine Beine täten weh. Das Ganze gipfelt darin, dass er in eine tote Ratte hineinfährt, obwohl ich ihm seit einer halben Minute zurufe, er solle außenrum fahren. Manchmal hört er mich einfach nicht.
An unserem Keller hängt auch ein Warnschild wegen Rattenbefalls und dass man wegen des Gifts auf die Kinder achtgeben solle. In regelmäßigen Abständen verenden die Tiere jetzt auf den Gehwegen, toten Tieren zu begegnen, ist für mich Horror. Nach dem Rattendesaster wird A. in den Fahrradsitz umdisponiert und sein Fahrrad unter Protest an der Straßenlaterne angeschlossen. Er denkt, es würde dort geklaut werden, obwohl ich es doch anschließe. Bis ich ihn in seiner Gruppe abgebe, hat er sich beruhigt.
Biedermeier-Style stehe ich hinter zwei älteren Männern vor der Post und warte, bis die Mitarbeiterin um Punkt 9 die Tür aufschiebt. Ich bin etwas spät dran mit meiner Einreichung für den Strittmatter-Drehbuchpreis. Ich hatte erst spät gesehen, dass der 1.10. nicht Einsendeschluss sondern Eingangsdatum ist. Und dass der September nur 30 Tage hat. Aber es sollte noch rechtzeitig ankommen. 7,49 Euro Porto. Dazu ein USBStick (bekommt man den wieder?). Das Drehbuch 4-fach. Immerhin besser als 15-fach – wie sonst manchmal. Beruflich ist dieses Jahr nicht so mein Jahr. Aber Einreichungen und Nominierungen liefen besser als die normalen Jobs. Vielleicht lohnt sich die Investition also.
Ich gehe noch kurz einkaufen, hieve dann mein Fahrrad in den Hinterhof, weil es erst eine Woche alt ist und sitze um halb 10 mit dem Kaffee am Schreibtisch. S. am anderen Schreibtisch wirkt heute sehr fleißig. Er schreibt das Exposé für einen Zweiteiler zuende, zu dem wir beauftragt wurden. Eigentlich ein ganz interessantes Thema, Strom, ein Ensemblefilm, viele Figuren zu handlen.
Ich überarbeite währenddessen die 3. Fassung eines TV-Films, der im Frühjahr endlich gedreht werden soll. Das Projekt hat mir schon den letzten Nerv geraubt, die Überarbeitung ist ziemlich überflüssig. Aber die Produzentin war letzte Woche bei mir und wir sind alles noch mal bis ins letzte Komma durchgegangen. Komma rein, Komma raus. Eigentlich muss ich nur noch abtippen, trotzdem komme ich nur langsam voran.
In den letzten Wochen gab es einige berufliche Flops. Flops, die ich selbst nicht in der Hand hatte. Eigentlich sollte der TV-Film schon dieses Jahr gedreht werden, dann wurden aber irgendwelche schlechten Reihen dazwischen geschoben. Gestern wurde ein anderes ganz cooles Projekt abgesagt, weil die Vorgänger-Filme zu schlechte Quoten hatten. Mein Agent hat mir eine eMail geschrieben: „Nächstes Jahr wirds besser.“ Man muss in meinem Beruf immer entspannt bleiben, sonst strahlt man was Falsches aus. Das ist, wie wenn man ein Date hat und zu sehr auf der Suche ist. Ich habe trotzdem immer ein Tab geöffnet, wie man im Quereinstieg Grundschullehrerin wird. Aber es gibt ja noch HELLO. Und das wird gut.
Ich schaue, was bei Twitter los ist. Alle streiten darüber, ob Gauland einen Hitlergruß gezeigt hat. Ich sehe mir das Video mehrmals an. Was soll der Scheiß? Irgendwie bin ich aber auch müde. Man darf nicht müde werden. Ansonsten ist meine Timeline voll mit Fridays for Future. Wir waren letzte Woche beim Klimastreik, bei Fridays for Future noch nicht so oft. Als wir da waren, haben wir uns ganz schön alt gefühlt.
S. ist mit seinem Text fertig. Eine willkommene Abwechslung, aber ich habe auch etwas Sorge. Denn wenn er schlecht ist, haben wir ein Problem – Abgabe war eigentlich vorgestern. Ich lese den Text und freue mich. Der erste Teil ist richtig gut und der zweite ist auch viel besser geworden. S. hat meine Vorlage so umgestellt, dass sie Sinn ergibt. Er hat noch ein paar Jokes eingebaut. Darin ist er immer gut. Das Ende muss ich noch mal überarbeiten.
Deutlich motivierter schreibe ich noch eine Weile an meiner Drehbuchfassung, bis wir Hunger haben. Ich kreiere eine Nudelsoße aus Kürbis und roten Linsen. Bin zufrieden.
Viertel vor 3 wird es Zeit W. abzuholen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass die Ratte immer noch dort liegt und fahre schnell vorbei. W. kommt mir wie immer strahlend entgegen. Sie sagt immer voller Stolz „Meine Mama!“ und ich fühle mich gleich ein bisschen besser. W. will Eis, obwohl es draußen nieselt, sie ist seit dem Sommer ziemlich süchtig. Ich kann sie damit umstimmen, dass wir noch ins Café wollten. Sie sagt fröhlich „Kaffee“ und lässt sich sogar auf den Fahrradsitz setzen, obwohl sie sonst immer laufen oder Laufrad fahren will.
Das Café gehört zu einer Musikschule und war eigentlich immer unser Lieblingscafé. Doch seit den Sommerferien scheinen die ehemaligen Besitzer irgendwie verschollen. Auch heute sind sie nicht da. Nichtmal die normale Tür geht auf. Der Eingang ist jetzt anscheinend hinten. Als wenige Minuten nach uns wieder jemand an der verschlossenen Tür rüttelt, weiß ich, dass das S. und A. sind.
Die Kinder bekommen doch ein Eis, weil es keinen Kuchen mehr gibt. Mein Crêpes ist okay, S’s Kaffee ist viel zu stark, er schüttet drei Mal Milch nach. Später holt er noch eine Brezel, die zu hart ist, falls sie frisch sein soll. Irgendwas stimmt hier nicht. Zumindest kostet es am Ende nur 5 Euro, weil sie sich anscheinend auch noch verrechnet haben.
Auf dem Rückweg beginnt es in Strömen zu regnen und W. ruft in ihrem Sitz immer wieder „Deiße!“ und lacht sich kaputt, weil sie denkt, dass man Scheiße nicht sagen soll. Zu solchen Spießern werde ich meine Kinder aber nicht erziehen. Ich schimpfe, weil ich nicht weiß, was das für ein Café sein soll, in dem der Kaffee nicht schmeckt, es um halb4 keinen Kuchen mehr gibt und die Tür nicht aufgeht. S. stimmt mir inzwischen auch langsam zu. Wir sehen unsere Freundin M., hochschwanger. Die Arme. Ich kenne es, wenn die Babys nicht kommen und finde es doof, dass S. sie darauf anspricht.
Ich finde es auch naja, dass S. zu einer Podiumsdiskussion eingeladen wurde und ich nicht – nicht wegen mir, sondern wegen Feminismus. Aber S. sagt, er säße da nur mit Frauen. Und mit dem Chef von Netflix. Das ist gut, dann kann er nämlich mit ihm noch mal über HELLO reden. Hinter dem Namen steht aber noch (tbc) „to be cancelled“, übersetze ich.
Wir kommen nach Hause und die anderen spielen ein bisschen LEGO. Ich liege doch tatsächlich ein paar Minuten ungestört auf dem Sofa rum. Ich verabrede uns mit Freunden für morgen in den Wildpark. Mein Vater hat geschrieben, dass er aus dem Krankenhaus raus kommt. Meine Mutter hat in den letzten Tagen ungewöhnlicherweise auf gar keine Nachrichten reagiert, nichtmal auf mein Geschwärme über „Systemsprenger“, erklärt jetzt aber, dass sie zu viel um die Ohren hatte. So ist das wohl mit dieser Elterngeneration. Die Männer sind im Krankenhaus und die Frauen haben viel um die Ohren.
Ich räume noch ne Waschmaschine voll, A. und W. streiten sich am Kaufladen, sie bekommen was zu essen, haben aber wegen Eis und harter Brezel kaum Hunger. S. backt noch ein Brot und ich übernehme das Zubettgehritual, weil S. gleich noch ins Kino geht, um sich „Systemsprenger“ auch noch anzusehen. Zähneputzen, Shaun das Schaf schauen, Winnie Puuh vorlesen und ab ins Bett.
Viertel nach acht sitze ich auf dem Sofa. Sonst arbeite ich da noch ein Stündchen oder bin an der Nähmaschine. Aber heute nutze ich die Zeit für den Tagebucheintrag. Bis S. zurück ist, werde ich noch einen Teil von „Mindhunter“ nachholen, bei dem ich letztes Mal versehentlich eingeschlafen bin. (Das lag aber nicht an „Mindhunter“!) Nachher reden S. und ich bestimmt noch länger über „Systemsprenger“. Auch wenn wir kleine Kinder haben, gehen wir nie vor 12 ins Bett, nein danke! Früh ins Bett gehen kann ich, wenn ich tot bin.
Sehr schön! Sitzt ihr beide im selben Zimmer zum Schreiben? das erinnert mich an Brigitte Reimann und ihren ersten Mann, der auch Schriftsteller war – die beiden hatten ein gemeinsames Arbeitszimmer mit einem Regal als Raumteiler und haben sich wohl ab und zu über das Regal hinweg mit Papierkügelchen beworfen. 🙂
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1 Jahr zu spät: Ja, es ist dasselbe Zimmer! So eine Art Mini Writers Room. Nur wenn einer telefoniert, muss er in ein anderes Zimmer gehen.
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